Grüner Besuch in Nijmegen – Exkursionsbericht 11. April 20196. März 2020 von Rolf AhrensWie radelt es sich eigentlich in einer „Radstadt“? Und wie muss die Infrastruktur beschaffen sein, damit Menschen aufs Rad steigen? Gibt es nicht großen Widerstand gegen eine „Verkehrswende“? Das waren einige der Fragen, die im offenen Arbeitskreis Mobilität der Grünen aufgeworfen wurden. Wir haben den Test vor Ort gemacht – die Wahl fiel auf Nijmegen, der Radstadt 2016. Für die Anreise wählen wir die Zugverbindung R19 der Abelio von Oberhausen nach Arnheim. Von dort geht es weiter ins ca. 15 km entfernte Nijmegen. Insgesamt dauert die Reise ca 2 Stunden ab Herne.Bereits beim Grenzübertritt kann man sehen, dass die Niederlande ein radfreundliches Land ist. Es fallen sofort farblich markierte und von den Straßen separierte Radwege entlang der Bahnlinie auf. In Arnheim haben wir nur wenig Aufenthalt – zu kurz, um den modernen Bahnhof zu besichtigen. Aber schon hier fällt auf: Die Bahn ist digitalisiert. Der Zugang zu den Gleisen und die Anmeldung zur Fahrt im Zug (außer Nahverkehr) erfolgt durch den QR-Code auf der Fahrkarte.Nijmegen ist gut vergleichbar mit Herne, die Stadt hat ca 176.500 E auf 57,5 km²; zum Vergleich: Herne hat ca 161.000 E auf 51,4 km².Der Radanteil am Gesamtverkehr liegt bei ca 30%. Herne angeblich 10% (Zahlen aus Masterplan)Nijmegen wird seit über 15 Jahren von einer Koalition aus GroenLinks, der D66 und der SP regiert.In Nijmegen leihen wir uns Räder im Radverleih in der Bahnhofstiefgarage (nur für Fahrräder!). Für die Radleihe benötigen wir eine OV-Kaart. Dies ist eine Verkehrskarte, mit der man Tickets des Nahverkehrs, Leihräder oder auch Fähren buchen kann. Bargeld und Formulare ausfüllen sind hier tabu. Wir müssen hier etwas warten, bis unsere grünen Freunde aus Nijmegen mit ihren OV-Kaarts eintreffen, denn Touristen können hier nicht einfach ein Rad mieten – nichts geht ohne OV-Kaarts.Während wir also wenige Minuten warten und schon Räder aussuchen und einstellen, bekommen wir einen ersten Eindruck von der Radstadt Nijmegen. In der Radleihstation herrscht Hochbetrieb. Ständig kommen Menschen und leihen Räder oder bringen sie zurück. Schon hier drängt sich ein Vergleich mit dem Metropolrad Ruhr auf, das auch in Herne installiert ist. In Herne wurden in 2017 insgesamt rund 600 Räder an 6 Stationen ausgeliehen. Das schafft diese eine Station in Nijmegen alleine locker an einem Tag, vermutlich sogar in wenigen Stunden. Um den Andrang zu bewältigen, ist alles digitalisiert. Die Nutzer loggen sich mit ihrer OV-Kaart ein und das Fahrrad ist gechipt. Bei der Rückgabe wird der Chip ausgelesen und automatisch abgerechnet. In Monatskarten ist die Radleihe enthalten, ansonsten fallen 3,85 €/d an – deutlich billiger als das Metropolrad. Den Grund für den Andrang sehen und erfahren wir im Verlauf unseres Besuches.Das ist der Eingang zur Fahrradtiefgarage in der Innenstadt.Wir fahren los. Zunächst ein Kurs um die Innenstadt – natürlich über separate Radwege. Vor dem Bahnhof gibt es ohnehin nur Radverkehr und ÖPNV; die Busse fahren übrigens alle mit Gas und sind sehr leise. Röhrende Dieselbusse und Abgasfahnen gibt´s hier nicht.Wir fahren durch einen Kreisverkehr mit eigener Radspur – und die ist auch noch eine Vorrangspur; Autos müssen warten. Weiter geht es durch die Einkaufszone, die natürlich für Radfahrer geöffnet ist. Die Besucherfrequenz entspricht etwa der von Bochum oder Dortmund, also alles sehr gedrängt – trotzdem funktionierts! Hier fällt uns sofort auf, wie entspannt und diszipliniert die Menschen sich begegnen. Autofahrer sind geduldig und halten im Zweifelsfall an, Radfahrer fahren langsam durch die Innenstadt und umkurven Fußgänger mit Abstand. Wir halten häufig an und lassen uns die Radführung erklären. Als Gruppe stehen wir häufig im Weg oder zumindest ungünstig; trotzdem kein Gehupe oder wildes Geklingel, keine Zurufe – alles sehr entspannt.Mitten in der Stadt ein bewachtes Radparkhaus für 2.000 Räder und einer Waschanlage. Die Einstellplätze sind elektronisch geschaltet und so kann die freie Zahl der Parkplätze angezeigt werden. Außerdem werden so Dauerparker gefunden und die Räder nach einer mehrtägigen Parkzeit aus der Anlage entfernt. Radparkplätze sind knapp und Dauerparker unerwünscht.In Nijmegen werden auch Fahrräder abgeschleppt.Trotz Parkhäuser am Bahnhof und in der Innenstadt stehen überall Fahrräder herum. Das Bild erinnert an Münster. Die autofreie und mit dem Rad befahrbare Innenstadt ist – leider – auch vollgestellt. Unsere grünen Freunde sprechen das offen an. Der Erfolg des Fahrrads führt auch zu neuen Bedarfen für Abstellanlagen, die man gar nicht schnell genug bedienen kann. Man denkt über ein Radsharing nach und natürlich auch mehr Radleihe. Ungewohnt: Auch Fahrräder werden hier abgeschleppt.Weiter geht´s jetzt über den Rhein, der hier Waal heißt, in ein Neubaugebiet. Die Waalbrücke wird gerade saniert, was natürlich nicht zu Lasten des Radverkehrs gehen soll. Daher gibt es auch hier eine sehr breite separate und baulich abgetrennte Radspur. Auto- und Radverkehr sind hier gleichberechtigt.Der neue Stadtbezirk Lent auf der anderen Flussseite ist autoarm. Die Straßen, durch die wir fahren, sind Radstraßen, die hier auch von Autos langsam befahren werden können. Für die Bewohner offenbar kein Problem. Man fährt eher Rad oder mit Bus und Bahn.Zurück zum Bahnhof geht’s es dann über eine Radbrücke, die an die Eisenbahnbrücke angehängt ist. Sie ist Teil eines Radwegs, des Snelbinders, der Nijmegen mit dem neuen Stadtteil Lent verbindet. Zum Abschluss besichtigen wir noch das Hauptparkhaus am Bahnhof – natürlich standesgemäß auch nur für Fahrräder und natürlich alles bewacht; hier parken mehrere tausend Räder.Nach ca 20 km endet die Tour – leider. Wir hätten gerne noch mehr von der Stadt gesehen bzw. abgefahren.In der Kürze der Zeit konnten nicht alle Aspekte des Verkehrs in Nijmegen angesprochen und geklärt werden. Doch einige Erklärungen für den Erfolg sind für uns sehr augenfällig und einsichtig.Der Innenstadtbereich ist sehr weiträumig für den Autoverkehr gesperrt. In die Stadt gelangt man mit Bus und Rad.Räder können einfach und billig ausgeliehen werden.Die Innenstadt ist fast durchgängig für den Radverkehr freigegeben, alle Ziele sind damit schnell zu erreichen. Zu Beginn unserer Tour haben wir offenbar vielfach Menschen gesehen, die aus den Außenbezirken per Bahn oder Bus am Bahnhof ankamen und Räder für ihre Besorgungen ausgeliehen haben.Bestehende Straßen wurden für den Radverkehr umgewidmet (Radstraßen), mitunter mit einfachen Mitteln umgebaut.Wenn möglich, wurden separate und baulich abgetrennte Radwege eingerichtet.Räder können an vielen Stellen bewacht und geschützt in Parkhäusern eingestellt werden.Digitalisierte Ausleih- und Bezahlsysteme erleichtern das Mobilitätsmanagement, vermutlich machen sie es in diesem Umfang sogar erst möglich.Die Grünen auf dem Snelbinder.Mein Fazit:Radstädte wie Nijmwegen sind eine völlig andere Welt. Weniger Autoverkehr, weniger Lärm, mehr Lebensqualität sind sehr direkt erfahrbar. Der Rückstand einer Stadt wie Herne auf eine Radstadt wie Nijmegen ist mit dem Vergleich Stein- und Neuzeit sehr unzureichend beschrieben.Der Erfolg fällt nicht vom Himmel. Die Kolleginnen und Kollegen der regierenden Koalition in Nijmegen haben in den letzten rund 15 Jahren sehr konsequent den Radverkehr zu einem mindestens gleichberechtigten, manchmal sogar bevorrechtigtem Verkehrsmittel ausgebaut. Eigene gut ausgebaute Radwege und Radstraßen waren ein Mittel der Wahl. Der Autoverkehr musste Platz oder mindestens Vorrechte abgeben!Auch ein gut abgestimmtes System von Nahverkehr, Radleihsystemen und sehr komfortable Fahrradparkplätze spielen eine große Rolle für die Akzeptanz des Rads. Das Rad ist hier oft das Verkehrsmittel für die letzte Wegstrecke.Das Parken – hier von Fahrrädern – ist auch in Radstädten ein großes Problem. Wer wirklich die Verkehrswende will, sollte diesen Aspekt des Radverkehrs frühzeitig angehen, denn man wird sonst vom Erfolg überrollt. Parkende Fahrräder sehen auch nicht schön aus.Der Autor dieses Artikels ist selber begeisterter Radfahrer. Auf die Idee, ohne Not und rein aus Spaß 20 km auf Straßen durch Herne – und hier insbesondere die Innenstadt – zu fahren, ist er noch nie gekommen und aus purem Überlebenswillen wird er dies auch nicht tun.