Mehr Vielfalt wagen! 29. Juni 201215. Mai 2020Im Mai hatte die Grüne Jugend Herne der Stadt einen umfassenden Fragenkatalog zum schwullesbischen Leben in Herne aufgegeben. Zur Auswertung der Antworten erklärt Raoul Roßbach, Sprecher der Grünen Jugend Herne:Herne ist eine bunte Großstadt. Leider zeigen die Antworten der Stadtverwaltung zu LSBTTI, dass dies bei der Stadtverwaltung noch nicht angekommen ist. Die Antworten offenbaren leider an einigen Stellen Unverständnis, Tatenlosigkeit und Desinteresse. Sie zeigen vor allem: Es gibt viel zu tun und wir stehen in Herne noch am Anfang.Dass die Stadt ihre Tatenlosigkeit damit rechtfertigt, dass sich Jugendliche erst spät outen würden und dann die Beratung in Anonymität in unseren Nachbarstädten suchen ist ein Armutszeugnis. Statt an einem gesellschaftlichen Klima zu arbeiten, dass jeden und jede akzeptiert und Vielfalt als Bereicherung erkennt finden wir uns bisher damit ab, dass sich unsere Jugendlichen in Anonymität nach Bochum stehlen. So kann und darf es nicht weitergehen. Schwule und lesbische Jugendliche brauchen Beratungs- und Jugendangebote. Sie brauchen Schutzräume in denen sie hier in unserer Stadt ihre Persönlichkeit ohne Angst entfalten und ihr Anderssein zusammen mit anderen entdecken und leben können.Zudem brauchen wir Aufklärungsarbeit an Schulen, die sich eben nicht auf den Biologieunterricht beschränken und schon gar nicht mit der AIDS-Prävention in einen Topf geworfen werden darf. Dafür brauchen wir qualifizierte und geschulte Lehrkräfte.Im wichtigen Bereich des Sport ist die Stadt bisher leider absolut tatenlos und offenbar grob uninformiert. Den „SC AufRuhr“ als schwullesbischen Herner Sportverein, der ein Aushängeschild und wichtiges Scharnier für unsere Stadtvielfalt sein kann, ist offenbar nicht einmal bekannt.Grundsätzlich sind die bemerkten Schulungen der Stadtverwaltung im Gender- und Antidiskriminierungsbereich sinnvoll und richtig. Auch geschlechterspezifische Sensibilisierungen in Jugendzentren sind ein wichtiges Anliegen. Leider betrifft jedoch keine dieser Maßnahmen speziell die LSBTTI-Thematik und bieten deshalb keinen Ersatz für qualifizierte und spezielle Weiterbildung und Sensibilisierung.Die Antworten der Stadtverwaltung zeigen: Herne steht in der LSBTTI Thematik noch ganz am Anfang. Es gilt jetzt zu überzeugen, anzupacken und Herne zu einer vielfältigen und bunten Stadt zu machen, die jedem und jeder ihre Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Für Entfaltungsmöglichkeiten, Akzeptanz und Gleichberechtigung aller unserer Bürgerinnen und Bürger zu kämpfen ist eine Gesamtaufgabe aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte unserer Stadt. Deshalb möchte ich von unseren Herner Bundestagsabgeordneten Gerd Bollmann und Ingrid Fischbach wissen wie sie gestern bei der Bundestagsabstimmung zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare abgestimmt haben und wie sie ihr Verhalten begründen. Die Antworten der Stadtverwaltung im Einzelnen:Frage 1:Gibt es in der Verwaltung zuständige Stellen bzw. Ansprechpersonen für Fragen rund um LSBTTI? Wenn ja, welche und welche Aufgaben haben diese jeweils?Antwort: Nein, in der Verwaltung gibt es keine derartigen Stellen bzw. Ansprechpersonen.Frage 2:Werden Mitarbeiter/innen besonders auf die Diskriminierungsproblematik geschult? Wenn ja, wie?Antwort: Nach Einführung des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wurde eine Vielzahl von Inhouse-Seminaren zum AGG für die Beschäftigten der Stadt Herne durchgeführt. Darüber hinaus wurden alle städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Informations- und Schulungsblätter zur Verfügung gestellt, die über wesentliche Inhalte des Gesetzes informieren.Für Führungskräfte ist das Seminar „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“ als Pflichtseminar vorgesehen. Ferner bietet das Studieninstitut Dortmund ein Seminar mit dem Thema „6 Jahre AGG – Eine Bilanz“ an.Frage 3:Welche Initiativen in Herne im Bereich LSBTTI sind der Verwaltung bekannt?Antwort: Initiativen in Herne im Bereich LSBTTI sind der Verwaltung nicht bekannt. Es existiert lediglich eine Selbsthilfegruppe „Transsexuell im Mittleren Ruhrgebiet“ (T-MRG) beim Bürger-Selbsthilfe-Zentrum (BüZ).Frage 4:Welche Beratungs- und Aufklärungsstellen gibt es für LSBTTI und ihre Angehörigen in Herne?Antwort: Der Verwaltung sind keine Beratungs- und Aufklärungsstellen für LSBTTI in Herne bekannt. Bei Anfragen (z.B. beim BüZ oder bei der Gleichstellungsstelle) wird in der Regel auf die Beratungsangebote des Vereins „Rosa Strippe e.V.“ in Bochum verwiesen. Die Beantwortung zu Frage 5 erfolgt durch Herrn Stadtrat Nowak.Frage 5:Gibt es spezielle Initiativen, gerade auch in den Herner Sportvereinen, um Diskriminierungen im Bereich des Sports in Herne abzubauen?Antwort: Von Seiten der Stadt Herne gibt es keine speziellen Initiativen in Herner Sportvereinen, um Diskriminierungen im Bereich des Sports abzubauen. Evtl. ist der Stadtsportbund auf diesem Sektor aktiv geworden.Frage 6:Welche Konzepte hat die Verwaltung, um Aufklärung zu dieser Thematik zu leisten und insbesondere Jugendliche vor Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Identität zu schützen? Antwort: Auf der Grundlage des Kinder- und Jugendfördergesetzes (KiJuFöG) wurde die geschlechterdifferenzierte Mädchen- und Jungenarbeit als Querschnittsaufgabe aller Träger und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit bereits in den ersten Herner Kinder- und Jugendförderplan aufgenommen. In der Abteilung Jugendförderung gibt es darüber hinaus seit 2007 eine Genderbeauftragte.Im Rahmen der geschlechterdifferenzierten Kinder- und Jugendarbeit werden Kinder und Jugendliche in den schwierigen Wandlungsprozessen der Pubertät begleitet. Der kritische Umgang mit traditionell starren Rollenmustern und ein toleranter Umgang mit Geschlechtsrollen gehören zum Selbstverständnis dieser Arbeit. In allen städtischen Jugendfreizeiteinrichtungen haben sich dazu spezielle Angebote etabliert, beispielsweise Mädchen- und Jungentage mit wechselnder thematischer Ausrichtung. Das Team Herne-Mitte greift die Thematik auch in Schulprojekten auf, beispielsweise im Rahmen des Aidsprojektes mit Schulklassen der Erich-Fried-Gesamtschule und der Hauptschule Hölkeskampring.Frage 7:Inwieweit wirkt die Verwaltung, als Schulträger, auf die Schulen ein, damit die Situation für Schülerinnen und Schüler vor dem, während des und nach dem coming out erleichtert wird und ein nichtdiskriminierendes Klima geschaffen wird?Antwort: Der Schulträger nimmt auf die inhaltliche Unterrichtsgestaltung der Schulen keinen Einfluss. Gleichwohl wird die dargestellte Diskriminierungsproblematik insbesondere unter den Gesichtspunkten der Gender-Thematik im Rahmen des allgemeinen Erziehungsauftrages in unterschiedlichen Fächern aufgegriffen (z.B. Biologie oder Gesellschaftslehre).Frage 8:Inwiefern ist die städtische Jugendarbeit mit diesem Thema befasst und wodurch trägt sie zu einer Verbesserung für die Jugendlichen bei?Antwort: In den Einrichtungen der Jugendförderung ist es ein wesentlicher Anspruch gegenüber den Zielgruppen im Bereich LSBTTI für ein tolerantes Klima zu sorgen. Dieser Anspruch setzt bei der Haltung und Vorbildfunktion der MitarbeiterInnen an. Dazu besuchen MitarbeiterInnen Fortbildungsveranstaltungen (z.B. zum Schwerpunkt Neue Wege für Jungen – „Intersektionalität“ / Veranstalter Diversityzentrum Bielefeld), werden Inhouse-Seminare durchgeführt oder eine zertifizierte Ausbildung zum Jungenarbeiter erworben.Frage 9:In einigen Städten in NRW gibt es schwullesbische Jugendzentren, die gerade in der oft schwierigen coming out- Phase für Jugendliche einen wichtigen Schutzraum bieten. In Herne gibt es ein solches Zentrum nicht. Welche Anstrengungen wurden von Seiten der Verwaltung unternommen, um diesen Zustand zu verändern und eben solche Schutzräume für LSBTTI-Jugendliche zu schaffen?Antwort: In den städtischen Jugendzentren ist eine schwul-lesbische Jugendszene nicht spürbar. Jugendliche outen sich meist erst in einem Alter, in dem sie schon über eine gewisse Mobilität verfügen. Dann greifen sie nach Kenntnis der Jugendförderung auch gerne auf Angebote in Nachbarstädten und im Großraum Ruhrgebiet zurück, weil ihnen dann eine Anonymität den gewünschten Schutz bietet.Grundsätzlich gibt es im Arbeitsfeld der Jugendarbeit bei allen Trägern eine Offenheit gegenüber den unterschiedlichsten Jugendszenen, mit denen dann auch bedürfnisorientierte Angebote entwickelt werden und im Rahmen bestehender Möglichkeiten auch Raumnutzungswünsche geklärt werden können. Dies ist grundsätzlich auf für die Zielgruppen im Bereich LSBTTI denkbar.Ob ein eigenes Zentrum von diesen Zielgruppen gewünscht wird, kann derzeit aus Sicht der Jugendförderung nicht eingeschätzt werden, da zu diesen Gruppen derzeit keine relevanten Kontakte bestehen.