Grüne Sicht auf die Herner Mobilitätswende

Im September hat die Verwaltung eine neue Vorlage zur weiteren Mobilitätsplanung vorgelegt. Der Name „Mobilitätswende Herne“ war etwas hochtrabend gegriffen. Tatsächlich soll der Autoverkehr nur nicht immer weiter so stark anwachsen.

Neue Überlegungen und Bewegung wurden notwendig, da das Verkehrsgutachten von Brilon, Bondzio und Weiser vom April 2022 voraussagte, dass die neuen Bauprojekte im Innenstadtbereich – also Funkenbergquartier mit der Polizeihochschule, Zahnklinik am Westring, Polizeiwache am Bahnhof etc. – in der Summe die bestehende Verkehrsinfrastruktur gerade im Kreuzungsbereich Westring Höhe Bahnhof überlasten würden. Die Gutachter schlugen eine Untertunnelung des Westrings in Höhe der Bahnhofsunterführung vor. So sollte zusätzlich Platz für den Autoverkehr geschaffen werden.

Kleiner Nachteil, der nicht im Gutachten stand: Während der Bauzeit hätte es natürlich erhebliche Einschränkungen im Bereich der Kreuzung am Bahnhof gegeben, die faktisch zur Einstellung des Busverkehrs geführt hätten.

ROLF AHRENS, Fraktionsgeschäftsführer – © Hartmut Bühler

Nachdem Grüne auf den Irrsinn dieses Vorschlags hingewiesen haben, gab es wohl ein Umdenken. Wir haben in der ersten Jahreshälfte einige Alternativen vorgeschlagen – siehe unter „Funkenbergquartier“ – die von verschiedenen Seiten durchaus positiv bewertet wurden – so jedenfalls die Rückmeldungen an uns. Und in der Tat ist in den neuen städtischen Plänen einiges aufgenommen worden, anders steht noch aus bzw. ist weiter in der Prüfung.

Im Wesentlichen soll jetzt mit kleineren Baumaßnahmen im Bestand der Verkehr besser geführt werden. Zudem soll mit Parkhäusern im Einzugsbereich von Herne-Mitte der Autoverkehr von der Innenstadt ferngehalten werden. Durch Umstieg auf den ÖPNV soll dann der letzte Weg in die Innenstadt oder zum Funkenbergquartier erfolgen.
Entscheidungen zum Ausbau des Nahverkehrs und hier insbesondere die Stärkung des Bahnverkehrs sowie der U35 sind noch nicht gefallen.

In der Debatte um die Vorlage erklärte die CDU dann ihre Ablehnung der Pläne der Verwaltung. Im Rat wurde dann eine von SPD und CDU deutlich geänderte und verwässerte Vorlage zur Abstimmung gestellt, der wir uns nicht anschließen konnten.

Der folgende Text bezieht sich auf die ursprüngliche Vorlage der Verwaltung, der wir zugestimmt hätten – trotz mancher Bedenken.

Wir sehen die Vorlage als Neustart in der Herner Verkehrspolitik. Nach der Beschlussfassung des Masterplans Klimafreundliche Mobilität in 2016 und danach des Green City Plans in 2019 herrschte praktisch Stillstand. Die letzten Jahre waren verlorene Jahre!

Wir wollen jedoch nicht verkennen, dass jetzt – sicher auch, weil das Thema Klimawandel ernster genommen wird – Bewegung in die Herner Verkehrspolitik kommen könnte. Angesichts der stetig zunehmenden Zulassungen an Kraftfahrzeugen dämmert es offensichtlich der Verwaltungsspitze und hoffentlich auch den anderen Parteien, dass die Verkehrswende und die Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehrsbereich tatsächlich auch eigenes Handeln erfordern.

Nach Lektüre der Vorlage bleiben viele Fragen offen. Es handelt sich hier eher um ein Rahmenkonzept, das jetzt mit Inhalten gefüllt werden muss.
In der Vorlage werden neue Maßnahmen nur angedeutet, aber nicht ausgeführt. So sollen Parkhäuser an den Autobahnabfahrten entstehen. Eine Idee, die auch wir schon im Rahmen unserer Vorschläge für die Erschließung des Funkenberg-Quartiers gemacht haben. Doch wo sollen sie stehen und wer soll sie errichten und betreiben? Von welchen Zeiträumen reden wir? Von einer Verwaltung die jahrelang am Thema arbeitet, darf man doch etwas mehr an Konkretisierung erwarten. Und welche Maßnahmen werden denn noch vorgeschlagen, die so weitreichend sind, dass sie eine weitreichende Trendwende einleiten könnten?

Im Masterplan „Klimafreundliche Mobilität“ wurde für das Ausgangsjahr 2015 (Ergebnis der Bürgerbefragung) ein Kfz-Anteil am Modal-Split von 60,4% festgestellt. Der Gutachter schlug verschiedene Maßnahmen vor, die er in drei Szenarien aufteilte und verglich. Im beschlossenen Masterplan Szenario soll der Kfz-Anteil auf 54,9% bis 2030 sinken – nicht eben ambitioniert. Die Grünen haben daher damals ihre Zustimmung verweigert und mehr Anstrengungen gefordert.
Zur Wahrheit gehört auch: Im ambitioniertesten Szenario sinkt der Kfz-Anteil auf 52,3%.

Schaut man sich die Vorschläge anderer Städte an – zuletzt wurde die Verkehrspolitik der Stadt Hannover im Spiegel vorgestellt – so sieht man, dass viele schon deutlich weiter sind. Sie haben in den letzten Jahren einiges ausprobiert und setzen das Erprobte jetzt auch um. Auch europaweit hat sich einiges getan, wie etwa der Verkehrsexperte Prof Knie im FOCUS (18.9.23) erläuterte. Er führt hier italienische, niederländische und belgische Städte an, die heute ganz anders aufgestellt sind als noch vor 25 Jahren. Autofreie oder zumindest autoarme Innenstädte sind dort längst Realität und werden als Gewinn für die Lebensqualität gesehen.

Die Mittel der Wahl waren dort die Reduzierung von Parklätzen und die Erhebung von Parkgebühren in durchaus beträchtlicher Höhe. Prof Knie fordert z.B. im FOCUS Interview eine Monatsgebühr für Anwohnerparken von 50 €/Monat, heute knapp 30 €/Jahr!

Und in Herne? Noch im Februar beschlossen SPD und CDU den Bau eines kostenlosen Parkplatzes an der Cranger Straße; Baukosten: 180.000 €! Die autoarme Innenstadt ist die eine Sache, sie eröffnet neue Möglichkeiten für eine Neunutzung von Parkplätzen. Es muss aber dann auch die Frage der nicht automobilen Erreichbarkeit der Innenstadt gelöst werden. Wir brauchen also mehr Nahverkehr, mehr und sicherere Rad- und Fußwege.

Schlussendlich muss auch die Frage nach der personellen Leistungsfähigkeit der Fachverwaltung gefragt werden. Wir erinnern uns, dass z.B. die Stelle der Radbeauftragten monatelang unbesetzt war, die Stelle der Klimaschutzmanagerin war jahrelang angekündigt und dann nur mit Förderung besetzbar. Wer wird denn eigentlich das Thema Mobilitätswende jetzt verbindlich bearbeiten?

Nachtrag Modal-Split

Der Autoverkehr wird im Herner Modal-Split (Basis 2015) mit über 60% angegeben. Neuere Daten liegen nicht vor, da wegen der Corona-Pandemie die turnusmäßige 5-jährige Neuerhebung aufgeschoben wurde.
Dieser Autoanteil setzt sich aber aus Fahrern und Mitfahrern zusammen. Bilden sich also Fahrgemeinschaften, so bleibt der Modal-Split gleich und die Zahl der Autofahrten sinkt. Fahrgemeinschaften haben also Auswirkungen auf den Klimaschutz und entlasten zugleich die Verkehrsinfrastruktur.
Insofern ist der Modal-Split als Maßstab für die Aufteilung des Verkehrs auf die einzelnen Verkehrsarten – Auto, Rad, Fußverkehr, ÖPNV – durchaus zu hinterfragen.

Nachtrag Parkhäuser

Parkhäuser werden i.d.R. durch Dritte gebaut und betrieben. Eine öffentliche Förderung kann es durch die Stellplatzablöse geben. Investoren, die keine Stellplätze auf eigenem Grund errichten können, zahlen einen Ablösebetrag, aus dem dann an anderer Stelle Parkplätze errichtet werden können.
Die Stadt muss für den Bau eines Parkhauses im Idealfall lediglich Baurecht schaffen.
Die Parkhäuser müssen sich dann dauerhaft selber tragen.
Der Betriebsrat der BOGESTRA hat vorgeschlagen, dass die BOGESTRA Parkhäuser baut und betreibt. Das könnte natürlich auch ein Modell für die HCR sein, die dann aber eine Zwischenfinanzierung benötigt. Als klassisches defizitäres Unternehmen hat ein Nahverkehrsunternehmen keine Rücklagen für solch ein Unterfangen und müsste einen Kredit durch die Stadt verbürgen lassen, was wiederum von der Finanzaufsicht des Landes gebilligt werden muss.

Was kann mit Parkhäusern am Rand der Innenstadt erreicht werden?

Aus Sicht des Klimaschutzes ist der Wert eher begrenzt. Das ist auch das Manko dieser Vorlage, die den Sachverhalt eher verschleiert. Wer mit dem Auto fährt, der emittiert ja schon klimaschädliche Gase und da fallen die letzten 1-2 Kilometer bis zur Innenstadt nicht mehr ins Gewicht.
Anders sieht es bei den Auswirkungen auf die innerstädtische Infrastruktur und die Aufenthaltsqualität einer Innenstadt aus.
Parkhäuser entlasten die innerstädtische Infrastruktur. Zuletzt wurde im Rahmen des Verkehrsgutachtens anlässlich des geplanten Baus der Polizeihochschule deutlich, dass die bestehende Verkehrsinfrastruktur im Bahnhofsbereich an der Grenze der Belastbarkeit an-gelangt ist. Die damals vom Gutachter vorgeschlagene Tunnellösung und Umbauten an verschiedenen Knotenpunkten wäre sehr teuer geworden und hätte während der Bauzeit den Nahverkehr in Herne-Mitte zum Erliegen gebracht.
Die angedachten Parkhäuser fangen diesen Verkehr ab und bündeln ihn auf dem letzten Kilometer im Nahverkehr.
Zudem werden durch wegfallende Parkplätze in der Innenstadt neue Möglichkeiten für Grünanlagen und Platzneugestaltungen geschaffen.

Wie bringt man den Autoverkehr in die Parkhäuser?

Vor Jahren wurde eine Parkraumanalyse für Herne-Mitte erstellt. Diese wurde mündlich im Bezirk vorgestellt und nie ausgehändigt. Damals wurde ein erheblicher Parkraumüberschuss festgestellt, wobei offen blieb, ob es sich um private Parkplätze handelte, die zur Zeit der Zählung zufällig frei waren oder öffentliche Parkplätze.
Zukünftig müssen die Parkplätze in der Innenstadt stark reduziert werden. Zudem muss das Parken in der Innenstadt stark verteuert werden, um über den Preis eine verkehrslenkende Wirkung zu erzielen.
Ein Spezialfall ist das Bewohnerparken. Auch diese pauschalen Parkausweise müssen verteuert werden, s.o. Prof Knie.

Generalalternative Ausbau Nahverkehr

Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoller, wenn bisheriger Autoverkehr vermieden oder direkt auf den Nahverkehr gelenkt würde.
Im Masterplan „Klimafreundliche Mobilität“ werden auch die Wege nach Verkehrsart und Weglänge dargestellt. Bereits auf Distanzen bis 1 km liegt der Autoanteil bei 20%, in der Distanz 1-2 km bereits bei 45% und bei Entfernungen von 2-3 km werden knapp 60% er-reicht, ein Wert, der dann auch über längere Strecken kaum noch ansteigt. Dieser Verkehrsanteil ist sicher durch klimafreundliche Verkehre auch im ÖPNV-Bestand abdeckbar.
Anders sieht aber eine Betrachtung der Ausnutzung der Verkehrsinfrastruktur aus. Die Kurzstrecken werden ja nicht alle im Bahnhofsbereich mit seiner ausgelasteten Verkehrsinfrastruktur anfallen. Man darf im Gegenteil davon ausgehen, dass der angesprochene Knotenpunkt Kreuzung Westring / Bahnhofsplatz / Cranger Straße von einer Verlagerung auf andere Verkehrsarten nicht profitieren würde. Dieser Knotenpunkt wird stark durch regionale Verkehre belastet sein. Gerade die neuen Projekte werden noch zusätzlich Regionalverkehr erzeugen. Diese Verkehre können nur durch bessere ÖPNV-Angebote gerade im Schienenverkehr und der U-35 als Anbindung zum Hbf Bochum abgebildet werden.

Grüne Vorschläge sind hier

  • die Durchbindung der jetzt teils in Do-Mengede endenden S2 bis Herne und damit die Schaffung weiterer, überwiegend schon bestehender Zugverbindungen
  • die Attraktivitätssteigerung der Emschertalbahn RB 43, deren Gleise und Bahnhöfe dringend saniert werden müssen
  • die Verlängerung und damit Kapazitätssteigerung der U35-Züge um einen Wagen in den Hauptverkehrszeiten, auch unter zeitweiliger Hinnahme, dass nicht alle Bahnhöfe für eine dreizügige Traktion ausgelegt sind