Kommentar zu den Seilbahnplänen der Verwaltung

Ist die Seilbahn ein realistisches Verkehrssystem für die Anbindung an den bestehenden Nahverkehr – hier insbesondere dem Hauptbahnhof Wanne-Eickel – oder ist es einfach nur ein Prestigeobjekt, das zusätzliches Licht auf die hochtrabenden Pläne für die Entwicklung des Blumenthalgeländes werfen soll?
Die Verwaltung hat jetzt im Rat für eine weitere Unterstützung des Projektes und um Freigabe von rund 500.000 € für weitere Planungsarbeiten geworben.
Die Meinungen über Sinn oder Unsinn gehen bei der Grünen Fraktion weit auseinander. Am Ende einer langen Diskussion gab es eine sehr knappe Mehrheit pro Seilbahn.
Der Rat hat dann am 31.10.2023 mit deutlicher Mehrheit der Verwaltungsvorlage zugestimmt.
Die Planungen werden jetzt also weitergehen und man wird in einigen Monaten deutlicher erkennen können, ob das Projekt wirklich sinnvoll ist und Chancen auf Realisierung hat.

Zu den einzelnen Aspekten der Vorlage und unseren Bewertungen:

ROLF AHRENS, Fraktionsgeschäftsführer – © Hartmut Bühler

Vorbemerkungen

Das Gelände Blumenthal ist heute praktisch ein nur durch den Autoverkehr über die Dorstener Straße / Kreuzung Bielefelder Straße erschlossenes Gebiet. Die Nutzungen früherer Zeiten als Bergwerks- und Kraftwerksstandort sowie Bahnhof der WHE führten zu Güterverkehren auf der Bahn. Später wurden die Bahnverkehre eingeschränkt und es folgten LKW-Fahrten mit Bergematerial, das über die Ackerstraße abgefahren wurde. Das war eine unzumutbare Situation für die Anwohner. Auch heute ist die Ackerstraße aufgrund ihres Ausbaustandes nur für geringe Autoverkehre geeignet. Eine größere Erschließungsbedeutung von der Dorstener Straße aus hat sie nicht und sollte sie auch nicht erlangen.
Eine direkte Anbindung an den Nahverkehr erfolgte auch früher schon nur über die bestehenden Buslinien.
Der Hbf Wanne-Eickel ist durch den ausschließlichen Nordausgang und der Barrierewirkung des Gleiskörpers vom Gelände abgetrennt.
Auch die Dorstener Straße und das parallel verlaufende Gleis stellen eine hohe Barriere dar, die nur an den Kreuzungsbereichen der Bielefelder Straße und der Ackerstraße auf-gehoben wird.
Jede Nachnutzung, die nicht nur auf eine autozentrierte Erschließung zielt, muss also neue Wege gehen. Alle werden erhebliche Kosten nach sich ziehen und sind teils auf die Mitwirkung der Bahn angewiesen.

1. Keine Abwägung verschiedener Erschließungen

  • Hinsichtlich der Erschließung durch den ÖPNV wurden verschiedene Vorschläge gerade auch von Grünen gemacht. U.a. die Erweiterung des Hbf Wanne-Eickel durch Anlage eines neuen Bahnsteigs und Nutzung bestehender Gütergleise, die auf das Gelände führen.
    Hier könnte dann eine automatische schienengeführte Bahn verkehren.
  • Zudem wurde die Anlage eines Südausgangs angeregt, was auch die Kombination des SPNV mit einem Stadtradsystem erleichtern würde.
  • Ein anderer Vorschlag war die Verlängerung der Straßenbahn 306 auf das Gelände mit Unterquerung der Bahngleise in Höhe des Bahntunnels „Ackerstraße“.

Es wird auf diese Alternativen gar nicht mehr eingegangen. Die ganze Erschließung ist rein auf die Seilbahn konzentriert.
In der Sondersitzung am 17.10., auf der ein Gutachten zu Kosten und Qualität der Seilbahn vorgestellt wurden, wurden konkrete Fragen nach Alternativen abgewimmelt und auf die abwehrende Haltung der Bahn verwiesen bzw. hohe Investitionskosten anderer Vorschläge angeführt, die aber nicht konkretisiert worden sind.
Das ist nicht völlig überzeugend, da jetzt auf Wunsch der Stadt Bochum der Personaltunnel am Wattenscheider Bahnhof verlängert wird und der Bahnhof so einen weiteren Ausgang erhält. Solche Projekte sind also offensichtlich mit der Bahn verhandelbar und finanzierbar.

2. Planungskosten

Die jetzt freigegebenen Planungskosten in Höhe von 500.000 € sollen aus dem Etat des FB 54 Tiefbau aufgebracht werden; eine genaue Darlegung erfolgt nicht.
In der Sondersitzung erklärte der Oberbürgermeister, dass diese Aufwendungen aus den jetzt verworfenen Planungen für die Erschließung des Funkenbergquartieres erfolgen sollen. Im Haushalt stehen diese Ausgaben für den Tunnelbau so-wie den Umbau von Knotenpunkten noch drin.
Aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Erschließungsplanung, die jetzt auf das Tunnelbauwerk und die Umbauten der Knotenpunkte verzichtet, aber einen Rechtsabbieger vom Westring zum Busbahnhof vorsieht, ist auch unklar, wie überhaupt die Kosten und Finanzierung dieser Maßnahme aussieht. Gibt es hier-für auch eine Förderung oder ist dies nur von der Stadt zu finanzieren. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die städtischen Mittel, die zur Verfügung stehen.
Es bleibt auch nach der städtischen Sondersitzung unklar, wie die Planungskosten für die Seilbahn aus dem Etat des Tiefbaus aufgebracht werden sollen.

3. Nutzung der Fläche Blumenthal

Bislang gibt es keine konkretere Nutzungsplanung und daraus folgend Flächenplanung; es gibt Absichtserklärungen, dass auf dem Gelände möglichst eine Forschungseinrichtung im Sinne eines universitären An-Instituts und technologieorientierte Firmen angesiedelt werden sollen.
Bis Ende November / Anfang Dezember 2023 soll das zwischenzeitlich für die Flächenplanung beauftragte Planungsbüro Speer & Partner aus Frankfurt seinen Planentwurf vorlegen, der dann mehr Klarheit bringen wird.
In der Vorlage ist jetzt von 3.500 Arbeitsplätzen die Rede, die ja je nach städte-baulicher Planung erhebliche Flächen verbrauchen werden.
Wie passt das zu den Empfehlungen des KEB, der ja eine Mischung aus naturnahem Grün und gewerblicher Nutzung empfohlen hat? Auch wenn der KEB sich vor der Frage einer Flächenaufteilung gedrückt hat und nur allgemeine Empfehlungen ausgesprochen hat, so bedeuten 3.500 AP doch überschlägig eine sehr weitgehende Ausnutzung der Fläche, sofern nicht auf Hochhauslösungen zurück-gegriffen werden sollen.
Die 3.500 AP sind natürlich für jede neue und zusätzliche Erschließung gut; je mehr AP desto besser.
Was bleibt dann aber für das Grün über? Hier wird erst der Entwurf von Speer und Partner für eine erste Einschätzung sorgen.

4. Leistungsfähigkeit der Seilbahn

Das jetzt favorisierte Pendelsystem ist ein starres System, das nicht erweitert werden kann. Für die Erschließung eines Gewerbegebiets ist die Leistungsfähigkeit in den Zeiten der Spitzennachfrage von Bedeutung. Dieses System kann keine Spitzen bei Nutzung des SPNV mit dem Ziel Wanne-Eickel Hbf abdecken. Es kann SPNV und ÖPNV-Anteile im bisherigen Modal-Split (rund 12%) abdecken und auch weitere Steigerungen, aber keine Anteile deutlich über 20% hinaus.
Geht man davon aus, dass bei der angestrebten Nutzung im Umfang und der Art viele Arbeitnehmer von auswärts kommen werden, dürfte der Anteil des Autoverkehrs für den Berufsverkehr dauerhaft bei rund 70% liegen.
Einen zusätzlichen Beitrag des ÖPNV kann dann nur noch eine Busanbindung liefern bzw. Umsteiger von der Bahn auf ein Stadtradsystem am Hbf Wanne-Eickel. Ein Stadtradsystem bedingt eine Anbindung über den Tunnel Ackerstraße, da die Zuwegung über die Hauptstraße oder die Dorstener Straße viel zu lang und umständlich sind.
Ungeachtet der eingeschränkten Leistungsfähigkeit ist im Standardbewertungs-verfahren für Investitionen aus dem GVFG (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) die Förderfähigkeit gegeben.

5. Investitionskosten

Angesichts der hohen Investitionskosten von 30 Mio. € und Betriebskosten von 500.000 € pro Jahr – hier ev. noch mit Einsparpotential) bleibt aber doch die Frage, ob andere Erschließungen – z.B. mit einem Pendelbus -, die vielleicht weniger innovativ, dafür aber genauso schnell und deutlich billiger und flexibler sind, nicht die bessere Wahl sind.
Nur bei einer 100%-Förderung wäre die Seilbahn möglicherweise von Vorteil.
Da die Seilbahn ins ÖPNV-Netz eingebunden sein soll – was auch sinnvoll ist – erfolgt eine Investitionsförderung aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, so wie auch U-Bahnen, Straßenbahnen oder S-Bahnen gefördert werden. Hier gibt es aber keine 100% Förderung, sondern nur eine 75% Förderung.
Unklar ist bis heute, ob andere Förderungen denkbar sind und wie hoch sie sind. Bei 30 Mio. € Investitionskosten fallen sofort Millionenbeträge auf die Stadt Her-ne als Eigenanteil zurück, wenn es keine 100%-Förderung gibt.
Immerhin gibt es die Aussage der Verwaltung, dass das Land NRW eine Co-Förderung zugesagt hat.

6. Unvollständige Investitionskosten

Es fehlen Kosten für den Bau der Seilbahnbahnhöfe; es sind nur einfache Ausführungen berücksichtigt. Die Fahrgäste werden ja sicher einen gewissen Komfort im Sinne von Regen- und Windschutz erwarten dürfen.
In der Sondersitzung wurden auch keine genauen Flächenausweisungen für den Seilbahn-Bahnhof am Hbf Wanne-Eickel gemacht.

7. Zeitfaktor

Seilbahnen erfahren gerade einen neuen und großen Zuspruch in Deutschland. In der Schweiz oder Österreich sind sie längst anerkannte und ins ÖPNV-Netz integrierte Nahverkehrssysteme. Ihre Vorteile liegen im schnellen Aufbau auch in to-pologisch schwierigem Terrain und einem mindestens teilautomatisierten Be-trieb, der Kosten spart.
Momentan prüfen viele Städte den Bau von Seilbahnen, um ihren ÖPNV schnell und auch auf topologisch schwierigen Strecken auszubauen. Recht weit scheint z.B. die Stadt Duisburg zu sein, die eine deutlich längere Strecke plant.
Hier deutet sich ein Windhundrennen an: Der Erste bekommt die Prämie in Form einer Sonderförderung zusätzlich zur normalen Förderung aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Zudem ist seine Seilbahn in der Realisierung gesichert. Wer später kommt, steht in scharfer Konkurrenz zu anderen.